Gemein­sa­me Stel­lung­nah­me zur Tötung eines Jugend­li­chen durch Poli­zei­kräf­te in Dortmund

Was wir wis­sen: Am 9. August 2022 wird Mou­ha­med D., ein Jugend­li­cher, der als unbe­glei­te­ter min­der­jäh­ri­ger Geflüch­te­ter aus Sene­gal in einer Jugend­hil­fe­ein­rich­tung in Dort­mund lebt, durch Poli­zei­schüs­se getö­tet. Betreuer*innen aus der Ein­rich­tung hat­ten die Poli­zei geru­fen. Der Jugend­li­che soll ein Mes­ser in der Hand gehabt und damit gedroht haben. Ins­ge­samt sol­len elf Polizist*innen vor Ort und Pfef­fer­spray und ein Taser zum Ein­satz gekom­men sein. Laut Dort­mun­der Staats­an­walt­schaft hat ein Poli­zei­be­am­ter sechs Schüs­se aus sei­ner Maschi­nen­pis­to­le abge­ge­ben, fünf davon tra­fen Moham­med D. in den Bauch, in den Kie­fer, in den Unter­arm und zwei­mal in die Schul­ter. Die Staats­an­walt­schaft bestä­tigt wei­ter, dass der Jugend­li­che am Mor­gen aus einer psych­ia­tri­schen Ein­rich­tung ent­las­sen wur­de. Noch sind vie­le Fra­gen offen.

Wir sind scho­ckiert dar­über, dass ein Ein­satz gegen einen ein­zel­nen Min­der­jäh­ri­gen mit dem mehr­ma­li­gen Gebrauch von Schuss­waf­fen und des­sen Tod ende­te. Unse­re Gedan­ken sind bei den Ange­hö­ri­gen, Freund*innen und Unterstützer*innen des ver­stor­be­nen Mou­ha­med D. Unse­re Gedan­ken sind auch bei all den Men­schen, bei denen die­se ent­setz­li­che Gewalt­tat Ängs­te und exis­ten­ti­el­le Ver­un­si­che­rung schürt – davor, selbst ange­grif­fen, ver­letzt und im schlimms­ten Fall getö­tet zu werden.

Was der Vor­fall aus­löst: Jun­ge Men­schen erfah­ren vor und wäh­rend der Flucht häu­fig mas­si­ve Men­schen­rechts­ver­let­zun­gen, sie sind Gewalt, Ver­fol­gung, Inhaf­tie­rung und Fol­ter aus­ge­setzt und erle­ben das Leid und den Tod von Ange­hö­ri­gen mit. Mas­si­ve Ein­schrän­kun­gen in der Lebens­pla­nung, durch unge­wis­se Auf­ent­halts­per­spek­ti­ven und schlech­ten Zugang zu Gesund­heits­ver­sor­gung und Bil­dung schmä­lern die Ent­wick­lungs­chan­cen und füh­ren zu Ein­sam­keit und Hilf­lo­sig­keit. Nichts­des­to­trotz zei­gen jun­ge Geflüch­te­te mit der rich­ti­gen Unter­stüt­zung eine bemer­kens­wer­te Resi­li­enz und schaf­fen es, ein Leben in Sicher­heit aufzubauen.

Die­se so not­wen­di­ge Sicher­heit wird durch den Vor­fall in Dort­mund grund­sätz­lich in Fra­ge gestellt. Solan­ge der Fall nicht ander­wei­tig auf­ge­klärt wird, weckt er vor allem bei Jugend­li­chen of Color und Schwar­zen Jugend­li­chen schmerz­haf­te Erin­ne­run­gen an Fäl­le von unver­hält­nis­mä­ßi­ger ras­sis­ti­scher Poli­zei­ge­walt. Das Ver­trau­en der Jugend­li­chen in staat­li­che Struk­tu­ren wird erneut mas­siv erschüt­tert, wenn die Poli­zei als Ver­tre­te­rin des Staa­tes eine Bedro­hung für ihr Leben ist. Auch das Jugend­hil­fe­sys­tem und die Psy­cho­so­zia­len Zen­tren (PSZ) müs­sen der Poli­zei ver­trau­en kön­nen, dass bei Selbst- und Fremd­ge­fähr­dung Sicher­heit her­ge­stellt wer­den kann und kei­ne wei­te­re Gefähr­dung von Men­schen­le­ben zu befürch­ten ist.

Was es jetzt braucht:

  • Die unab­hän­gi­ge Auf­ar­bei­tung durch ein Expert*innengremium über die poli­zei­in­ter­nen Ermitt­lun­gen hinaus
  • Unab­hän­gi­ge Unter­su­chungs- und nie­der­schwel­li­ge Beschwer­de­stel­len zu Poli­zei­ge­walt in Jugendhilfeeinrichtungen
  • Den Ein­be­zug der Per­spek­ti­ven der betrof­fe­nen Communities
  • Die Sen­si­bi­li­sie­rung von Poli­zei und Ord­nungs­be­hör­den für die Situa­ti­on psy­chisch belas­te­ter Men­schen und spe­zi­ell Geflüchteter
  • Zugang zu adäqua­ter psy­cho­so­zia­ler Ver­sor­gung für geflüch­te­te Menschen


Erst­un­ter­zeich­nen­de (11. August 2022)

BAfF e.V., Bun­des­ver­band der Psy­cho­so­zia­len Zen­tren für Flücht­lin­ge und Folteropfer
BumF e.V., Bun­des­fach­ver­band unbe­glei­te­te min­der­jäh­ri­ge Flüchtlinge
JoG (Jugend­li­che ohne Grenzen
PSZ Aachen
PTZ Ahlen
PSZ Bielefeld
MFH Bochum
PSZ Mon­di­al Bonn
PSZ Dortmund
PSZ Düsseldorf
PSZ Hagen
CTZ Köln
PSZ Lüdenscheid
PSZ Mönchengladbach
Refu­gio Münster
PSZ Nie­der­rhein Dinslaken
PSZ Nie­der­rhein Moers
PSZ Siegen
ReachOut (Bera­tungs­stel­le für Opfer rech­ter, ras­sis­ti­scher und anti­se­mi­ti­scher Gewalt und Bedrohung)

Mit­zeich­nen­de (Stand 19. August 2022)

AK Asyl e.V. Bielefeld
AK Flucht und Asyl in der IPPNW
Ärz­te der Welt e.V.
Bera­tungs­stel­le Frau­en­not­ruf Frankfurt
Ber­li­ner Netz­werk für beson­ders schutz­be­dürf­ti­ge geflüch­te­te Men­schen (BNS)
Cari­tas­ver­band für die Stadt Köln
FATRA e.V.
Flücht­lings­rat Nie­der­sach­sen e.V.
Flücht­lings­rat RLP e.V.
Flucht­raum Bre­men e.V.
Frau­en-Not­ruf e.V. Göttingen
IPPNW
Licht­punkt e.V.
life­line e.V.
MeG ‑Betreu­tes Woh­nen gGmbH
Nadia Murad Zen­trum Lörrach
PRO ASYL Bun­des­wei­te Arbeits­ge­mein­schaft für Flücht­lin­ge e.V.
Psy­cho­so­zia­les Zen­trum für Flücht­lin­ge Nürnberg
PSZ Frank­furt, Ev. Zen­trum für Bera­tung und The­ra­pie Am Wei­ßen Stein
PSZ Mainz
Refu­gio Bremen
Refu­gio München
respon­se – Bera­tungs­stel­le für Betrof­fe­ne von rech­ter, ras­sis­ti­scher und anti­se­mi­ti­scher Gewalt
Rosa Strip­pe e.V. Bochum
St. Johan­nis GmbH
terre des hom­mes Deutsch­land e.V.
Ver­ein zu Unter­stüt­zung trau­ma­ti­sier­ter Migran­ten e. V. Karlsruhe
XENION e.V.
Zen­trum ÜBERLEBEN